April 2025: Totholzkäfer: Anspruchsvolle Zeigerarten für intakte Waldlebensräume
Der Endbericht zu einem mehrjährigen Kooperationsprojekt zeigt: in den Nationalparks Donau-Auen und Thayatal, im Biosphärenpark Wienerwald und Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal lebt eine faszinierende Vielfalt an speziellen totholzbewohnenden Käfern.
Die Niederösterreichischen Großschutzgebiete bieten unterschiedlichste, ökologisch intakte Lebensräume. Unter anderem bestehen hier weiträumige naturnahe Wälder mit vielen alternden und bereits abgestorbenen Bäumen. Diese beherbergen hochspezialisierte Artengruppen, darunter eine Fülle an xylobionten, also totholzbewohnenden Käfern. Sie wurden in einem mehrjährigen Projekt der vier Schutzgebiete kartiert. Ein Gesamtbericht über alle in drei Projektjahren gewonnenen Ergebnisse bietet spannende Einblicke in die Käferartenfülle von Nationalpark Donau-Auen, Nationalpark Thayatal, Biosphärenpark Wienerwald sowie Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal.
Natürlichen Auwälder, wie sie im Nationalpark Donau-Auen vorkommen, weisen in Relation zu anderen Waldtypen ein geringes Alter auf. Wiederkehrende Hochwasserereignisse führen dazu, dass die Vegetation laufend im Umbruch ist. Bäume werden weggeschwemmt, andernorts entstehen neue Standorte, die besiedelt werden. Das Artenspektrum umfasst typische Käfer von Auen, die reich an Totholz und höhlentragenden Altbäumen sind. Auch Schwemmholz stellt einen wesentlichen, artenreichen Lebensraumtyp dar. Besonders bemerkenswert waren fünf Funde des seltenen Vielpunktierten Pappelbocks (Saperda punctata). Dieser stark gefährdete Bockkäfer gilt als wärmeabhängig und kommt in Gebieten mit subkontinentalem oder kontinentalem Klima vor. Die Larve besiedelt austrocknende Stammteile und Kronenäste von Ulmen.
Die leicht zugänglichen Wälder auf den Plateaulagen im Nationalpark Thayatal wurden historisch durch die Forstwirtschaft zwar genutzt, aber nun entwickeln sich die Bestände wieder zu naturnahmen Mischwäldern. Hier leben u. a. ausgesprochen wärmeliebende Spezies. Sie profitieren von der engen Verzahnung an blütenreichen Magerwiesentypen und wärmegetönten Waldlebensräumen in den steilen Talhängen des Schutzgebiets am Übergang zwischen Wein- und Waldviertel. Hervorzuheben ist hier der vom Aussterben bedrohte Weißschuppige Ohnschild-Prachtkäfer (Acmaeoderella flavofasciata), von dem vier Exemplare nachgewiesen werden konnten. Seine Larven entwickeln sich unter der Borke und im Splint stehender, austrocknender und sonnenexponierter Laubbäume wie Eichen und Kastanien.
Der Biosphärenpark Wienerwald setzt ein Konzept um, das ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Artenvielfalt, dem Ausbau der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und dem Erhalt der lokalen, kulturellen Werte ermöglicht. 33 unterschiedliche Waldtypen kommen hier vor. Höchst anspruchsvolle Charakterarten naturnaher Buchenwälder sowie Mulmhöhlenbesiedler konnten im Rahmen der Erhebung nachgewiesen werden. Der Berliner Prachtkäfer (Dicerca berolinensis) ist eine hier aufgefundene spezielle Art, 16 Exemplare wurden erfasst. Er kommt bevorzugt in Wäldern mit einem hohen Anteil an Rot- und Hainbuche vor und ist auf die kontinuierliche Verfügbarkeit von großdimensioniertem, liegendem und stehendem Totholz angewiesen.
Mit dem Urwald Rothwald verfügt das Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal über den größten Urwaldrest des Alpenbogens. Auf Grund der Kessellage, dem historischen Streit über Grenzverlaufe, zu geringen Wassermengen in den Bächen für Holztransport und langen Wintern mit extremen Schneelagen konnte der Urwald bis heute überdauern. Es finden sich viele typische Bergland-Käferarten, die sich bevorzugt in großen Nadelholzstämmen entwickeln. Einer von ihnen ist der seltene Zottenbockkäfer (Tragosoma depsarium), von dem drei Exemplare gefunden werden konnten. Die Larven leben bodennah in vermorschtem und verpilztem Nadelholz, das der Sonne ausgesetzt ist. Der nachtaktive Käfer bewohnt alte Stümpfe und schon längere Zeit liegende Stämme größerer Dimensionen, er versteckt sich tagsüber unter der Rinde.
Zusatzinformationen
Xylobionte Käfer weisen eine komplexe Lebensweise auf, die sich in einer beeindruckenden Artenvielfalt, klaren Besiedlungsabfolge von Totholz in unterschiedlichen Zersetzungsstadien und sensiblen Reaktion auf Veränderungen der Habitatstruktur widerspiegelt. Durch die Erfassung der Käferarten lassen sich Rückschlüsse auf Strukturangebot, Nutzung und ökologische Geschichte in einem Gebiet ziehen. Daher gelten sie als eine der zentralen Indikatoren bei naturschutzfachlichen Bewertungen holzdominierter Lebensräume. Außerdem spielen die Käfer eine Schlüsselrolle bei der Zersetzung von Totholz, fördern die Bildung vielfältiger ökologischer Nischen und tragen somit zur Biodiversität bei.
In Summe wurden 10.582 Individuen gezählt, 882 Arten bestimmt und 73 Familien zugeordnet. Davon zählen mindestens 647 Käferarten zu den Totholzbewohnern. Eine Gruppe ist besonders hervorzuheben - die sogenannten Urwaldreliktarten. Deren Vorkommen beschränkt sich auf natürliche bis sehr naturnahe Wälder, in denen keine oder nur sehr eingeschränkte Nutzung stattfindet. Hiervon konnten 46 Arten nachgewiesen werden. Weiters wurden etliche landesweite Erst- und Zweitnachweise sowie Wiederfunde verschollener Arten erbracht. Dieses Ergebnis unterstreicht die Verschiedenartigkeit der Lebensräume in den Schutzgebieten und ist Hinweis darauf, dass jedes der vier Gebiete einen unverzichtbaren Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt leistet.
Das Gemeinschaftsprojekt „Erfassung, Verwaltung und Darstellung der Biodiversität in den niederösterreichischen Großschutzgebieten“ mit Laufzeit von Jänner 2022 bis Dezember 2024 wurde im EU-Programm Ländliche Entwicklung gefördert.
Der Endbericht ist auf der Nationalpark Donau-Auen Infothek abrufbar: https://shorturl.at/Ou5gH. Ein Nachfolgeprojekt der vier Niederösterreichischen Großschutzgebiete wird aktuell entwickelt.
Für Presserückfragen:
Nationalpark Donau-Auen GmbH, Erika Dorn
Tel.: +43 2212 345026, e.dorn@donauauen.at
Nationalpark Thayatal GmbH, Birgit Gruber
Tel: +43 2949 700525, birgit.gruber@np-thayatal.at
Biosphärenpark Wienerwald, Alexandra Stavik
Tel.: +43 2233 5418712, as@bpww.at
Schutzgebietsverwaltung Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal, Katharina Pfligl
Tel.: +43 7486 21122, office@wildnisgebiet.at