Wie steht es um die Urwälder von morgen?
In den Kernzonen des Biosphärenpark Wienerwald hat die Natur Vorrang! Auf rund 5.400 Hektar Gesamtfläche, das sind fünf Prozent der Fläche des Biosphärenpark, wird Prozessnaturschutz betrieben - das heißt, man überlässt die Kernzonen weitestgehend sich selbst. Sterben Bäume ab oder kommt es etwa zu Windwürfen, bleiben die Stämme liegen und dürfen als Totholz im Wald bleiben. Das Biosphärenpark Wienerwald Management hat sich zum Ziel gesetzt, in etwa einmal pro Jahr alle 37 Kernzonen zu begehen und zu schauen wie es um die Urwäldern von morgen steht: Wie entwickelt sich die Kernzone? Wieviel stehendes und liegendes Altholz gibt es? Sind Windwürfe zu beobachten, verjüngen sich die Waldbäume oder haben sich etwa durch Erholungssuchende Gehwege oder Mountainbike-Trails abseits offizieller Strecken gebildet?
Die drei im Wiener Teil des Biosphärenpark Wienerwald gelegenen Kernzonen „Kolbeterberg“, „Moosgraben“ und „Waldandacht“ gilt es an einem sonnigen Oktobervormittag zu begehen. Mit von der Partie sind Harald Brenner vom Biosphärenpark Wienerwald Management und David Rauch vom Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien.
Der Kolbeterberg im Westen Wiens, westlich vom Wolfersberg, ist mit ca.28 Hektar eine der kleinsten Kernzonen. Bereiche mit viel Naturverjüngung und jungen Bäumen wechseln mit Stellen, mit großen, dicken Eichen- und auch Rotbuchen. „In diesem Bereich herrscht ein Kampf um Licht“, verweist Harald Brenner auf ein Waldstück mit einem dicht stehenden, jüngeren Bestand mit Eschen, Buchen und Kirschbäumen. Generell weist die Kernzone eine beachtliche Menge an stehendem und liegendem Totholz auf, das vielen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten wertvollen Lebensraum bietet. Die zahlreiche Eichengallen am Waldboden ziehen auch die Aufmerksamkeit einer mit Walking-Stöcken ausgestatteten Anrainerin auf sich, die sofort aufgeklärt werden konnte: Bei Eichengallen handelt es sich um Wucherungen an Eichen, die durch die abgelegten Eier und den Speichel von Gallwespen entstehen und für den Baum nicht schädlich sind, aber eine wichtige Rolle im Ökosystem haben.
Weiter geht es zur Kernzone „Moosgraben“, die sich nordwestlich der im 14. Wiener Gemeindebezirk errichteten Jubiläumswarte befindet und zugleich auch ein Naturwaldreservat ist. Die Kernzone ist etwa 34 Hektar groß und im Eigentum der Stadt Wien. Das Waldbild ist vorwiegend durch Buchenwälder geprägt. Bei einem durchschnittlichen Alter der Bäume von rund 130 Jahren kommen bereits imposante Stämme mit Durchmessern von bis zu einem Meter vor. Im nördlichen Teil wachsen auch Eichen-Hainbuchenwälder. Eine Besonderheit ist der naturbelassene Bach mit Schwarzerlenwald an den Ufern. „Leider hat sich parallel zur offiziellen Mountainbike-Strecke auf der gegenüberliegenden Seite des Moosgraben nun eine inoffizielle Strecke innerhalb der Kernzone gebildet“, bedauert Brenner. „Bei unseren regelmäßigen Kernzonen-Aktionstagen werden wir Erholungssuchende wieder über den besonderen Schutz von Kernzonen informieren“.
Die letzte Etappe unserer Kernzonen-Begehungen führt uns zur Kernzone „Waldandacht“, die im 14. Wiener Gemeindebezirk Penzing und an der Grenze zur niederösterreichischen Gemeinde Purkersdorf liegt. Sie umfasst eine Fläche von ca. 41 Hektar und wird vor allem durch Buchen-, Hainbuchen- sowie Eschenwaldgesellschaften geprägt. Im Herbst sorgt hier die vorkommende Elsbeere für eine wunderschöne gelb bis hellrote Färbung. Außerdem finden wir vereinzelte Windwürfe. „Durch den Nahbereich zum Siedlungsgebiet muss man in Zukunft gut darauf achten, inwieweit Neophyten aus den Gärten in die Kernzone eindringen werden“, gibt Harald Brenner zu bedenken.
Vor 20 Jahren wurden die Kernzonen durch die UNESCO-Anerkennung des Biosphärenpark Wienerwald außer Nutzung gestellt. Und nach 20 Jahren – eine Zeitspanne, die in der Forstwirtschaft als sehr kurz gilt – sind bereits Veränderungen sichtbar. Es ist schön zu sehen, dass sich der Urwald von morgen auch in und am Rande einer Millionenstadt wie Wien entwickeln kann.
Nähere Informationen zu diesen und den anderen Kernzonen gibt es in unseren Kernzonen-Steckbriefen.
Die Kernzonen-Begehung fand im Rahmen des Projekts „Erhaltung und Förderung der Biodiversität im Wiener Teil des BPWW“ statt und werden gefördert vom Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes sowie dem Land Wien.